Leben mit Long Covid

Wie ich nach einer emotional belastenden Situation vorübergehend in den Rollstuhl kam...

Zuerst möchte ich nochmals betonen, dass Long Covid keine psychosomatische Erkrankung ist! Die Ursache von Long Covid ist rein organisch. Die Krankheit kann im Verlauf durch emotionale, geistige, psychische wie auch körperliche Belastungen und Anstrengungen negativ beeinflusst werden.

Wie sehr emotional Belastendes und Stress den Körper vor allem bei Long Covid negativ beeinflussen, bekam ich bei der Beerdigung meiner Grossmutter ganz deutlich zu spüren. Sie verstarb, während ich in Reha war. Im Dezember 2021 war sie an Covid-19 erkrankt, und hatte einige Zeit im Krankenhaus verbringen müssen. Davon hatte sie sich nie richtig erholt, und immer wieder davon gesprochen, dass es für sie an der Zeit wäre, zu gehen.

 

Einige Tage vor ihrer Beerdigung hatte ich in der Reha einen Rückfall erlitten, welcher mir mein rechtes Bein kurzzeitig lähmte. Für einige Stunden konnte ich es nur noch hinter mir her ziehen. Obwohl die Lähmungserscheinung mit der Zeit nachliess, konnte ich es beim Laufen nicht mehr belasten, weil es ständig unter mir nachgab und einknickte. Das war in dem Sinne nichts Neues, nach zu viel Belastung hatte ich das schon einige Male erlebt, dass mir danach die Beine den Dienst versagten. Normalerweise dauerte dieser Zustand mehrere Tage, manchmal auch über eine Woche, in der ich mich einfach humpelnd fortbewegte. Was sich natürlich auf meine Hüfte auswirkte, und ich irgendwann nur noch aus Schmerzen bestand.

 

Dann folgte die Beerdigung, für die ich am Wochenende abgeholt wurde. Doch die emotionale Belastung des Abschieds und der Stress, der Verwandtschaft in meinem Zustand gegenüber zu treten, führten über Nacht zu einer deutlichen Verschlechterung meiner Symptome. Als ich am Morgen der Beerdigung aufwachte, konnte ich nicht mehr laufen. Die Nerven lagen blank, wortwörtlich. Ich hatte Schmerzen in den Beinen, und sie wollten mich nicht mehr tragen. Ich konnte kaum einen Fuss vor den anderen heben. Der Marsch auf den Friedhof zur Beisetzung der Urne mit der Asche meiner Grossmutter schien unmöglich. Schnell wurde ein Rollstuhl aus dem Altersheim organisiert. Bei der Beerdigung in einem Rollstuhl vorzufahren graute mir noch mehr, doch ich wollte dabei sein. Ich wollte Abschied nehmen können. Also liess ich mich von meinem Vater vorfahren, denn meine Arme waren zu schwach, um mich aus eigener Kraft fortbewegen zu können. Die geschockten Gesichter bewirkten bloss, dass ich mich noch unwohler fühlte. Wir hatten mich vorsorglich gut eingepackt in meinem Rollstuhl, dennoch frass sich die Kälte vor bis in meine Knochen. Der Stress und die Kälte sorgten schlussendlich dafür, dass ich an dem Tag auch von meinem unkontrollierbaren Schüttelfrost nicht verschont blieb. Nach ungefähr zehn Minuten liess er endlich nach, und ich vergass vor lauter Erschöpfung sogar, dass ich aufgeregt war.

 

Nach der Beisetzung liess ich mich von meiner Mutter nach Hause bringen, um mich zu erholen. Während die anderen die Messe in der Kirche besuchten, nahm ich ein heisses, grossartiges Bad. Es linderte die Schmerzen und brachte mir etwas Ruhe und Erholung. Danach legte ich mich, ganz gemäss Energiemanagement und Pacing für eine halbe Stunde hin, und schlief sofort ein. Nachdem die Kirche vorüber war, wurde ich wieder abgeholt für das gemeinsame Abschiedsessen. Dank meiner Pause hielt ich es dort ganze zwei Stunden aus, bevor ich darum bat, wieder nach Hause gebracht zu werden, wo ich mich erneut ins Bett legte, und dieses Mal völlig erschöpft zwei Stunden tief und fest schlief.

 

Nach dieser ergiebigen und dringend benötigten Pause wurde ich zurück in die Reha gebracht, wo ich mehrere Tage brauchte, um mich vollständig zu erholen. Seither habe ich den Rollstuhl nicht mehr gebraucht, aber mir ist bewusst, dass er jederzeit wieder in Einsatz kommen kann, wenn es mir nicht gelingen sollte, mein überaktives und überschiessendes Nervensystem mit Hilfe von Achtsamkeits- und Entspannungsübungen zu beruhigen. Falls dich interessiert, wie man das machen kann, kannst du mehr dazu im Therapieblog «Der Vagusnerv» lesen.

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